Corona und Meer
Kontaktsperre. Zuhause bleiben, Toilettenpapiervorräte anlegen, der neue Alltag.
Für uns ändert sich nicht allzuviel, obwohl home office als Chirurg sicherlich interessant wäre… aber Blutflecken lassen sich so schwer aus dem Teppich entfernen, also fahren wir weiter zur Arbeit, dafür bekommen wir einen Passierschein ausgestellt; wir sind jetzt ganz offiziell systemrelevant.
In dem Klinikum am Rande des Wahnsinns ist es ruhig, wir warten auf die Corona-Welle, aber diese bleibt in unserem Landkreis aus; Ostsee statt Tsunami.
Dennoch bleiben wir vorbereitet, geplante Operationen werden abgesagt, die Notfallambulanz ist fast leer, im Gegensatz zu Nicht-Corona- Zeiten hat jeder Patient, der sich in die Notaufnahme traut, einen triftigen Grund dafür; auch ohne geplante Operationen laufen die OP-Säle mit Notfalleingriffen weiter.
Ich nähe Mund-Nasen-Schutz-Masken mit maritimen Mustern für uns, bunte Masken für alle anderen, die Nachfrage ist gross, schnell wird das Neue alltäglich, die Masken zum Fashion-Accessoire.
Allmählich werden die Coronamassnahmen gelockert, es gibt wieder Toilettenpapier.
Das Schiff liegt immer noch in der Werft. Normalerweise wären wir ungeduldig, unser Urlaub rückt näher, aber die Häfen sind noch geschlossen, also egal, wir können sowieso nirgendwo hinfahren (sagen wir uns rational, aber innerlich liegen wir strampelnd und heulend am Boden wie ein Dreijähriger im Supermarkt und WOLLEN Schiffi, SOFORT!!!)
Wir träumen, planen, schauen wieder YouTube-Videos.
Eine schottische Segelreise, durch den Caledonian Canal, nach Oban, Mull, Skye, die äußeren Hebriden.
Rückblick auf verregnete Sonntage als Kind, sich vor dem Radio langweilend den Seewetterbericht anhören, Stornoway, Äußeren Hebriden, das klingt wie das Ende der Welt ,wenn ich groß bin, will ich dorthin.
Ich lese Bücher über das Meer, über Inseln, nachts träume ich vom Wasser, von den Sagengestalten, den blue men of the minch, den Kelpies und Ekke Nekkepen, den kannten wir Inselkinder früher alle, denn einmal im Jahr stieg er in Gestalt unseres Bademeisters verkleidet mit grüner Perücke und selbstgebasteltem Dreizack aus den Tiefen der Nordsee, um den Fackelzug zur Biike anzuführen, gefolgt von dem Musikzug der freiwilligen Feuerwehr.
Im Feuerschein verwandelte er sich für uns Kinder in den sagenumwobenen Meereskönig, den Geruch von Seetang und Salz mit sich bringend (jedenfalls solange, bis alles überlagert wurde durch den Geruch brennender Wolle, ausgelöst durch die Funken unser inkompetent gehaltenen Fackeln, die Löcher in unsere Schals und Handschuhe brannten).
Das Meer war immer da für uns Inselkinder, ein Spielplatz im Sommer, Muschelnsammeln und manchmal ein seltenes Rochenei finden, die federleichten Bälle der Wellhornschneckeneier, wir bewerfen uns mit den liladurchsichtigen Ohrenquallen, lernen schwimmen im Salzwasser.
Irgendwann verlässt man die Insel, zieht auf das Festland , das Meer ist nur noch eine verblasste Erinnerung…
Aber eines Tages kauft man ein Schiff…
Die Häfen öffnen wieder…
Genug geträumt, es kommt ein Anruf von der Werft, das Schiff ist fertig und kann ins Wasser!
